<-- zurück
einführung von hartwig knack zu

gabriele salzmann
die farbe ist der ort
gehalten am 27.02.2012

FARBE, FLÄCHE, ENERGIE

Gabriele Salzmanns atmosphärische Bildräume 
von Hartwig Knack

“Ursprünglich stand der Mensch, die Figur, das Porträt im Zentrum meines bildnerischen Interesses, unter anderem auch deshalb wählte ich das Studium in der Meisterklasse von Maria Lassnig.“, ist einem aktuellen Statement Gabriele Salzmanns zu entnehmen. Schon kurze Zeit nach ihrem Diplom an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst im Jahr 1990 begann sich die in Salzburg geborene Künstlerin jedoch sukzessiv von der Figuration zu lösen. Mehr und mehr verlagerte sich Gabriele Salzmanns Fokus auf die Fragestellungen nach Farbe, Raum, Fläche und deren Kräfteverhältnis untereinander.

Farbe, Raum und Fläche in ihrem Spannungsverhältnis sind auch heute nach wie vor die Protagonisten in Gabriele Salzmanns Malerei. Bildtitel wie etwa “Magenta 4fach vertikal, 3fach Cyan quer“ oder “Orange-Rosa-Gelbgrün quer überlagert“ machen deutlich: Zum Kernthema der Künstlerin gehören kompositorischer Bildaufbau und Farbe per se, zwei Komponenten, mittels derer sie faszinierende abstrakt- reduzierte Bildräume erschließt.

Die monochromen Flächen der Leinwände werden von horizontalen und vertikalen gestisch ausgeführten Strukturen durchbrochen, die an breite Farbstriche erinnern. In ihrem Zusammenspiel lassen sie farblich exakt durchgeplante oszillierende Raumgefüge entstehen. Die Wechselbeziehung zwischen Zwei- und Dreidimensionalität scheint in Gabriele Salzmanns Bildern zur künstlerischen Passion erhoben und entpuppt sich als wahrhafter Kunstgriff: Durch die geometrisch angelegten Farbflächen einerseits und die linear platzierten heterogenen Streifen andererseits schafft die Künstlerin ein plastisches Davor und Dahinter, das vielschichtige Raumsituationen konstituiert, deren Größenordnungen stets im vagen bleiben. Die BetrachterInnen können sich in vielen Fällen nicht sicher sein, ob sich die “Pinselstriche“ im Vorder-, Mittel,- oder Hintergrund befinden.

“Kunst hat immer auch mit Illusion und Täuschung zu tun.“, schreibt die Malerin im Dezember 2010 im “Kurztext zu meinen Arbeiten“. So erinnern verschiedene mit schmalen vertikalen Streifen ausgeführte Gemälde, zum Beispiel “Raum Ocker lasiert“ von 2006, an Werke der englischen Malerin Bridget Riley, eine der wohl bekanntesten zeitgenössischen Vertreterinnen der Op-Art. Anders als bei Riley finden wir bei Salzmann aber keine aggressiv bewegten Oberflächen und grelle Kontraste, hingegen eine eher kühle Farbpalette, die dem Auge genügend Zeit gewährt, sich in der Tiefe der verschiedenen Bildebenen zu verlieren.

In anderen Bildern Gabriele Salzmanns – im Detail und aus spitzem Winkel betrachtet – entwickeln vermeintlich flache Farbebenen ein überraschendes Eigenleben. Einzeln und in einer Art Kreuzschraffur gesetzte Pinselstriche werden sichtbar, die die Flächen als Farbräume flimmern lassen. Aber Salzmann verlässt sich in ihrer Kunst nicht ausschließlich auf die Macht der optischen Täuschung. Die Künstlerin begreift Farbe und Form als autonome Einheiten, die sich als visuelle Kräfte energetisch ergänzen. Reduktion der Form auf der einen, expressiver Gestus der Farbstriche auf der anderen Seite scheinen sich zum Wohl einer meditativen Grundstimmung stetig in einer gewissen Balance halten zu wollen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt Gabriele Salzmanns Malerei ist die geniale Einfachheit in der Formgebung. In ihren Arbeiten entwickelt sie diese durch eine konsequente Reduktion auf die schon erwähnten Elemente Farbfläche, Farbstrich und deren Zusammenstellung. Diese klaren, zuweilen asketisch anmutenden Strukturen sind beeinflusst von der US-amerikanischen Minimal Art. Agnes Martin, Morris Louis und auch Jackson Pollock nennt die Künstlerin in diesem Kontext und verweist damit zugleich auf ihren künstlerischen Anspruch elementarer Reduzierung und abstrakter Bildsprache. Durch die zuweilen sehr spontan, zuweilen aber auch konzentriert gesetzten Farb- und Pinselstriche entsteht allerlei Neues, das weit über stereometrische Grundformen der Minimal Art hinausgeht. Die von den amerikanischen Wegbereitern vorgegebene Strenge durchbricht Gabriele Salzmann im wörtlichen Sinn mit expressiv-gestischem Schwung. Auf vielfältige Weise thematisieren ihre Werke durch enorme Tiefenwirkung die Raum- und Objekthaftigkeit von Malerei und den imaginären Schritt heraus aus der zweidimensionalen Leinwandfläche.

„Schweben ist immer ein Thema für mich.“, sagt Gabriele Salzmann und erzählt von ihrer Technik, durch lasierend verwendete Ölfarben Strukturen und Ebenen im Bildraum „weiter wegbringen“ zu wollen. Seit einiger Zeit setzt sie in einer Serie kleinformatiger Arbeiten Licht und Schatten als minuziös geplantes Gestaltungs- und Kompositionselement ein und bereichert ihre abstrakte Bildwelt durch eine spannende Facette der Gegenständlichkeit. Zumindest scheint es so. “Raumschweben“ betitelt die Künstlerin diese mit Aquarell und Acryl auf Büttenpapier ausgeführte Blattfolge. Kaum glauben die Kunstinteressierten, einen Schattenwurf ausgemacht zu haben, kämpfen sie schon im nächsten Moment wieder gegen eine gewisse Verunsicherung an. Ist der Schatten tatsächlich ein Schatten oder doch eine durch vermeintlich hintereinander gestaffelte Farbstriche hervorgerufene Tiefenillusion? Sicher sein kann sich niemand bei Gabriele Salzmanns Malerei und gerade deshalb faszinieren die Werke und wecken unterschiedlichste Bedürfnisse: Fast möchte man in die kontemplativen Bildräume eintauchen, schwebend die meditative Wirkung der Abstraktionen erfühlen und das unbekümmerte fließen lassen der Farbe miterleben. Das Spektrum der räumlichen Ebenen macht sichtbar, wie sich schichtweise Farbenergie intensiviert, ausgleicht und atmosphärische Zwischentöne erzeugt. Die Dichte des Farbauftrags bestimmt auch immer das Gewicht und damit den Zustand des Schwebens.

Gabriele Salzmann scheint mit ihrer sinnlichen Malerei eine Art neuer rhythmischer Raumordnung schaffen zu wollen. Wir blicken auf ein ruhiges und kontemplatives Werk, das trotzdem nach farblicher Intensität und ausdrucksvollem Gestus strebt. Die optische Bandbreite der Gemälde erstreckt sich über die Wechselbeziehung zwischen Kompaktheit und Leere, bis hin zur Schärfe in der Fläche und sanften Gestaltung in mutmaßlichen Schatten und modellierten Farbstreifen. Dem Anschein nach plastisch aus dem Bild heraustretende Formen sind nicht zuletzt dem differenzierten Umgang mit Farbe und der Malerei an sich geschuldet. Zwei Dinge, die wesentlich für Gabriele Salzmanns Malerei sind. Als Urphänomen der menschlichen Erfahrungswelt verwendet sie Farbe malerisch in ihrer Raumwirkung und als subjektiven Ausdruck. Genau abgestimmte Farbmodulationen gehören zu den elementaren Grundlagen ihrer Malerei. Viel Zeit verwendet die Künstlerin für das außerordentlich nuancierte Anmischen der Farben um in der Folge im vollendeten Werk zu einem ihrem Anspruch gemäßen perfekten Ergebnis gelangen zu können.

Gabriele Salzmanns durchwegs ungegenständliche Kunst vermag immer wieder gegenständliche Assoziationen zu wecken, gelegentlich auch unterstützt durch Titel, die Worte wie “überlagert“, “gebogen“ oder “gedreht“ beinhalten. Unabhängig von Wärme und Kälte, die sie ausstrahlen, Nähe und Ferne, die beim Anschauen empfunden werden können, zeigen die Werke der Künstlerin neben ihrer farblichen und räumlichen Sinnlichkeit auch eine zeitliche Dimension, die sich durch den Sehprozess der BetrachterInnen wie von selbst ergibt. Es sind Bilder, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, sondern sich erst nach und nach allmählich öffnen.

copyright liegt beim autor